Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein körpereigenes Netzwerk aus Signalstoffen, Rezeptoren und Enzymen, das bei praktisch allen Säugetieren vorkommt. Es hilft, zentrale Körperfunktionen wie Schmerzempfinden, Stimmung, Appetit, Schlaf und Immunreaktionen zu steuern und im Gleichgewicht zu halten (Mechoulam & Parker 2013, Annu Rev Psychol 64:21–47).
Im Gegensatz zu pflanzlichen Cannabinoiden wie THC oder CBD produziert der Körper seine eigenen „Cannabinoide“ – zum Beispiel Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG) – die an die gleichen Rezeptoren binden (Devane et al. 1992, Science 258:1946–49). Über diese Rezeptoren kann das ECS Signale im Nervensystem und im Immunsystem weiterleiten und so verschiedene Prozesse regulieren (Munro et al. 1993, Nature 365:61–65).
Dieses System ist die biologische Grundlage dafür, dass Cannabispräparate überhaupt wirken können: Pflanzliche Cannabinoide docken an dieselben Schaltstellen an wie die körpereigenen Botenstoffe. Das ECS zu verstehen ist daher der Schlüssel, um zu begreifen, warum Cannabisarzneien bei bestimmten Patient:innen Effekte zeigen und warum diese individuell unterschiedlich ausfallen können (Pacher et al. 2006, Pharmacol Rev 58:389–462).
Die Bausteine des ECS
Das ECS besteht aus drei zentralen Komponenten, die zusammenarbeiten:
- Endocannabinoide – körpereigene Botenstoffe
Der Körper produziert selbst Cannabinoid-ähnliche Substanzen, vor allem Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG). Sie entstehen bei Bedarf aus Membranlipiden und wirken nur kurz, bevor sie wieder abgebaut werden. Anandamid wurde 1992 erstmals isoliert und beschrieben (Devane et al. 1992, Science 258:1946–49). - Cannabinoid-Rezeptoren – Schaltstellen in Zellen
Die wichtigsten Rezeptoren heißen CB1 und CB2. CB1-Rezeptoren sitzen vor allem im Gehirn und Nervensystem, CB2-Rezeptoren überwiegend im Immunsystem und in peripheren Geweben. 1993 wurde der CB2-Rezeptor erstmals charakterisiert (Munro et al. 1993, Nature 365:61–65). - Enzyme – Ein- und Ausschalter
Spezielle Enzyme steuern, wie lange Endocannabinoide wirken: FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase) baut Anandamid ab, MAGL (Monoacylglycerollipase) 2-AG. So kann der Körper die Signale schnell wieder stoppen (Di Marzo et al. 1998, Nat Neurosci 1:58–64).
Diese drei Bausteine bilden zusammen ein flexibles Regelsystem. Es wird immer dann aktiv, wenn der Körper kurzfristig Anpassungen braucht – zum Beispiel bei Stress, Schmerz, Entzündung oder Appetitsteuerung (Pacher et al. 2006, Pharmacol Rev 58:389–462).
Funktionsweise
Das ECS arbeitet wie ein Feinregler: Es wird bei Bedarf aktiviert, um innere Prozesse im Gleichgewicht zu halten. Wenn Nervenzellen zum Beispiel übermäßig erregt sind oder das Immunsystem zu stark reagiert, setzen Zellen Endocannabinoide frei. Diese binden an Cannabinoid-Rezeptoren und dämpfen oder modulieren die Signalweiterleitung (Di Marzo et al. 1998, Nat Neurosci 1:58–64).
Signalrichtung „rückwärts“
Besonders ist, dass Endocannabinoide meist retrograd wirken: Sie werden von der postsynaptischen Zelle gebildet, diffundieren zurück zur präsynaptischen Zelle und regulieren dort die Freisetzung von Neurotransmittern wie Glutamat, GABA oder Dopamin (Pacher et al. 2006, Pharmacol Rev 58:389–462). So kann das ECS Nervensignale schnell bremsen oder verstärken.
Wirkung in verschiedenen Systemen
- Im Nervensystem: Steuerung von Schmerzempfinden, Stimmung, Gedächtnis und Koordination.
- Im Immunsystem: Modulation von Entzündungsreaktionen.
- Im Stoffwechsel: Einfluss auf Appetit und Energiehaushalt.
Warum das wichtig ist
Durch diese Flexibilität trägt das ECS zur Homöostase bei – also zur Aufrechterhaltung eines stabilen inneren Milieus trotz wechselnder Bedingungen (Mechoulam & Parker 2013, Annu Rev Psychol 64:21–47).
Für Sie bedeutet das: Das ECS ist ein zentrales Steuerungssystem des Körpers. Pflanzliche Cannabinoide wie THC oder CBD wirken, indem sie an denselben Schaltstellen andocken und so körpereigene Prozesse beeinflussen können (Pertwee 2008, Br J Pharmacol 153:199–215).
Pflanzeneigene Botenstoffe
Das Endocannabinoid-System reagiert nicht nur auf körpereigene Botenstoffe, sondern auch auf Cannabinoide aus der Pflanze. Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), der wichtigste psychoaktive Wirkstoff von Cannabis, bindet direkt an CB1- und CB2-Rezeptoren und ahmt damit die Wirkung der körpereigenen Endocannabinoide nach (Pertwee 2008, Br J Pharmacol 153:199–215). Dadurch können Schmerzempfinden, Stimmung, Appetit und viele andere Prozesse beeinflusst werden.
Cannabidiol (CBD) wirkt anders: Es bindet nur schwach an CB1/CB2, kann aber indirekt das ECS modulieren, indem es Enzyme hemmt oder andere Rezeptoren beeinflusst. Das erklärt, warum CBD nicht psychoaktiv ist und manche THC-Effekte sogar abschwächen kann (Pertwee 2008, Br J Pharmacol 153:199–215; Huestis et al. 2019, Annu Rev Pharmacol Toxicol 59:89–110).
Auch weitere pflanzliche Cannabinoide wie CBG oder THCV greifen in das ECS ein, teilweise an anderen Schaltstellen. Für die moderne Medizin bedeutet das: Die Wirkung von Cannabispräparaten entsteht durch das Zusammenspiel dieser pflanzlichen Stoffe mit dem körpereigenen ECS (Mechoulam & Parker 2013, Annu Rev Psychol 64:21–47).
Das Endocannabinoid-System verstehen
Das Endocannabinoid-System ist ein wichtiges Steuerungsnetzwerk Ihres Körpers. Es besteht aus körpereigenen Cannabinoiden, speziellen Rezeptoren und Enzymen, die zusammen viele lebenswichtige Funktionen regulieren – von Schmerzempfinden über Stimmung bis zur Immunabwehr (Di Marzo et al. 1998, Nat Neurosci 1:58–64; Pacher et al. 2006, Pharmacol Rev 58:389–462).
Pflanzliche Cannabinoide wie THC und CBD können an denselben Schaltstellen wirken und so natürliche Prozesse verstärken, modulieren oder abschwächen (Pertwee 2008, Br J Pharmacol 153:199–215; Huestis et al. 2019, Annu Rev Pharmacol Toxicol 59:89–110). Das erklärt, warum Cannabispräparate medizinisch einsetzbar sind – und warum ihre Wirkung individuell verschieden ausfallen kann.
Für Sie bedeutet das: Wer das ECS kennt, versteht besser, warum Cannabisarzneien bei bestimmten Beschwerden wirken, weshalb Dosierungen individuell angepasst werden müssen und wieso ärztliche Begleitung unverzichtbar ist. Dieses Wissen ist die Grundlage für eine informierte Entscheidung über eine Cannabistherapie.