Medizinisches Cannabis wird häufig ergänzend zu bestehenden Arzneimitteln eingesetzt – etwa bei chronischen Schmerzen, psychischen Erkrankungen oder neurologischen Beschwerden. Doch wie verträgt sich Cannabis mit Antidepressiva, Schmerzmitteln oder Blutdrucksenkern? Welche Wechselwirkungen sind relevant – und wie lassen sich Risiken vermeiden?
Warum sind Wechselwirkungen ein Thema?
Cannabis enthält pharmakologisch aktive Substanzen wie THC und CBD, die in der Leber über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (v. a. CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19) verstoffwechselt werden. Viele andere Medikamente nutzen dieselben Stoffwechselwege – was zu gegenseitigen Wirkverstärkungen oder Abschwächungen führen kann.
Zudem entfalten Cannabinoide zentralnervöse Effekte, die sich direkt auf die Wirkung anderer psychoaktiver Medikamente auswirken können – etwa sedierend oder stimmungsmodulierend.
Welche Medikamente sind besonders betroffen?
🧠 Antidepressiva und Psychopharmaka
SSRI (z. B. Fluoxetin, Sertralin):
CBD hemmt CYP2C19 → erhöhter Wirkstoffspiegel, Risiko für Nebenwirkungen (Unruhe, Übelkeit)Benzodiazepine (z. B. Lorazepam):
Verstärkung sedierender Effekte durch THC, Gefahr von Müdigkeit oder KoordinationsstörungenNeuroleptika (z. B. Clozapin, Olanzapin):
Kombinationswirkungen möglich → verstärkte Sedierung oder veränderte Plasmaspiegel
💊 Schmerzmittel
Opioide (z. B. Tilidin, Morphin):
THC kann schmerzlindernde Wirkung verstärken → Synergie möglich, aber SedierungsrisikoNSAR (z. B. Ibuprofen):
Bisher keine relevanten Wechselwirkungen nachgewiesen
⚡ Antikonvulsiva (Epilepsie-Therapie)
Clobazam:
CBD erhöht aktiven Metaboliten (N-Desmethylclobazam) → Sedierung, SchläfrigkeitValproinsäure:
Kombi mit CBD kann zu erhöhten Leberwerten führen → regelmäßige Kontrolle empfohlen
❤️ Blutdruck- und Gerinnungsmedikamente
Betablocker / Calciumantagonisten:
THC kann blutdrucksenkend wirken → Kreislaufprobleme bei Kombination möglichMarcumar / DOAKs (z. B. Apixaban):
CBD kann metabolisch interferieren → Verstärkte Wirkung, engmaschige INR-Kontrolle nötig
Was sagt die Studienlage?
Eine systematische Übersichtsarbeit identifizierte über 100 potenzielle Wechselwirkungen mit Cannabinoiden – besonders bei Medikamenten mit enger therapeutischer Breite [1].
Ältere Patient:innen sind durch Multimedikation und verlangsamten Metabolismus besonders gefährdet [2].
CBD ist häufiger als THC an relevanten Wechselwirkungen beteiligt, da es als starker CYP-Hemmer fungiert [3].
Wie kann man Risiken minimieren?
✔ Aktuelle Medikamentenliste führen und bei jedem Arztbesuch vorzeigen
✔ Neue Präparate nur nach ärztlicher Rücksprache einnehmen
✔ Langsame Dosistitration bei Einstieg mit THC oder CBD
✔ Leberwerte und Plasmaspiegel ggf. regelmäßig kontrollieren
✔ Vigilanz: auf Warnzeichen wie verstärkte Müdigkeit, Verwirrtheit, Schwindel achten
Individuelle ärztliche Begleitung
Cannabis kann sicher und wirksam mit vielen Arzneimitteln kombiniert werden – wenn Wechselwirkungen beachtet und medizinisch überwacht werden. Besonders bei psychotropen Substanzen oder multimorbiden Patient:innen ist eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung essenziell. Denn Cannabis ist kein pauschaler Risikofaktor – aber auch kein unbedenkliches Zusatzpräparat.
Literatur
[1] Brown JD, Winterstein AG (2019): Potential Adverse Drug Events and Drug–Drug Interactions with Medical and Consumer Cannabidiol (CBD) Use. J Clin Med. 8(7):989.
[2] Suraev AS et al. (2020): Cannabinoid therapies in the management of older adults: Clinical considerations and risks. Drugs Aging. 37(3):185–197.
[3] Stout SM, Cimino NM (2014): Exogenous cannabinoids as substrates, inhibitors, and inducers of human drug metabolizing enzymes: a systematic review. Drug Metab Rev. 46(1):86–95.