Endometriose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung, bei der endometriumähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst. Häufige Beschwerden sind chronische Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhö, Dyspareunie und teils Dyschezie/Dysurie. Viele Betroffene erleben trotz NSAR/Analgetika, hormonellen Therapien oder Operationen eine unzureichende Symptomkontrolle oder Nebenwirkungen, weshalb zusätzliche, symptomorientierte Optionen gesucht werden.
Cannabinoide rücken in den Fokus, weil Patientinnen Schmerzlinderung, besseren Schlaf und teils reduzierten Bedarf an Analgetika berichten. In Beobachtungs- und Umfragedaten gaben Betroffene an, dass Cannabis (häufig inhalativ oder als Öl) Schmerz, Krämpfe und Übelkeit mindern und Alltagsfunktionen verbessern können (Sinclair et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Armour et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Schueler et al. 2019, J Pain Res 12:2013–2024). Parallel deuten präklinische Arbeiten darauf hin, dass das Endocannabinoid-System (ECS) in Endometriose-Läsionen aktiv ist und viszerale Hyperalgesie modulieren kann (Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439; Sanchez et al. 2021, Int J Mol Sci 22:12338).
Wirkmechanismen
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist im gesunden Endometrium und in Endometriose-Läsionen aktiv. Sowohl CB1- als auch CB2-Rezeptoren sind dort nachweisbar und modulieren Schmerzverarbeitung, Entzündung und Angiogenese (Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439; Sanchez et al. 2021, Int J Mol Sci 22:12338).
THC bindet an CB1-Rezeptoren in peripheren Nerven und Rückenmark und kann so viszerale Hyperalgesie und Dysmenorrhö dämpfen. CBD wirkt über nicht-CB1/CB2-Zielstrukturen (TRPV1, 5-HT1A, PPARγ) und zeigt antinflammatorische, analgetische und anxiolytische Effekte. In Kombination könnten beide Substanzen Schmerz und Begleitsymptome wie Schlafprobleme oder Angst beeinflussen (Maccarrone et al. 2021, Int J Mol Sci 22:10360).
Tierexperimentelle Arbeiten belegen, dass CB1-Agonisten in Endometriose-Modellen die viszerale Schmerzempfindlichkeit signifikant reduzieren (Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439). Diese Mechanismen sind die Grundlage für den diskutierten Einsatz von Cannabinoiden bei Endometriose-assoziierten Schmerzen.
Studienlage
Online-Befragungen / Selbstmedikation:
Sinclair et al. (2019, BMC Complement Altern Med 19:195) werteten Antworten von 484 Patientinnen mit Endometriose aus, die Cannabisprodukte nutzten. Über 75 % berichteten eine deutliche Schmerzreduktion, weniger Dysmenorrhö und besseren Schlaf; rund 60 % gaben an, ihren Analgetikaverbrauch reduziert zu haben.
Armour et al. (2019, BMC Complement Altern Med 19:195) analysierten Daten von über 13.000 Betroffenen; Cannabis war unter allen komplementären Maßnahmen diejenige mit der höchsten selbstberichteten Wirksamkeit bei Schmerzen und Schlafstörungen.
Beobachtungsdaten:
Schueler et al. (2019, J Pain Res 12:2013–2024) untersuchten in einer prospektiven Kohorte Frauen mit Endometriose-assoziiertem Schmerz, die Cannabisprodukte nutzten. Ergebnis: signifikante Reduktion der Schmerzintensität und Verbesserung patientenberichteter Lebensqualität, mit teils weniger Opioidverbrauch.
Präklinische Daten:
Dmitrieva et al. (2010, Pain 151:433–439) konnten in einem Mausmodell zeigen, dass CB1-Agonisten die viszerale Hyperalgesie bei Endometriose signifikant reduzierten – ein biologischer Mechanismus, der die Patientinnenberichte stützt.
Einordnung:
Die Datenlage besteht überwiegend aus Befragungen, Beobachtungsstudien und Tiermodellen. Sie liefern konsistente Hinweise auf Schmerzlinderung und verbesserten Schlaf, aber keine randomisierten, placebokontrollierten Studien mit standardisierten Endpunkten.
Sicherheit und Nebenwirkungen
Häufige, meist dosisabhängige Effekte (THC/THC-haltige Präparate):
Schwindel/Benommenheit, Sedierung/Schläfrigkeit, Mundtrockenheit, gelegentlich Angst/Dysphorie sowie vorübergehende Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Reaktionszeit; in Schmerz-RCTs überwiegend mild–moderat (Whiting et al. 2015, JAMA 313:2456–2473; Mücke et al. 2018, Cochrane CD012182).
CBD-spezifische Punkte:
CBD ist meist gut verträglich; in hohen Dosen wurden gastrointestinale Beschwerden, Schläfrigkeit und Anstieg der Leberenzyme beschrieben – v. a. bei Polypharmazie → ggf. Leberwerte kontrollieren (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020).
Erfahrungen aus Endometriose-Kohorten:
In Umfragen/Beobachtungen wurden v. a. Müdigkeit, Mundtrockenheit und leichte Schwindelgefühle berichtet; schwerwiegende Ereignisse waren selten. Ein Teil der Patientinnen reduzierte unter Cannabis den Analgetikabedarf, was das Interaktionsrisiko mit Sedativa senken kann – individuelle Verläufe variieren (Sinclair et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Schueler et al. 2019, J Pain Res 12:2013–2024).
Interaktionen (relevant im gynäkologischen Kontext):
- ZNS-Depression additiv mit Opioiden, Benzodiazepinen, Z-Drugs (Whiting et al. 2015, JAMA).
- CYP-Interaktionen (CBD): Hemmung u. a. von CYP2C19/CYP3A4 → potenzielle Spiegelanstiege z. B. bei Benzodiazepinen, Antidepressiva; klinisch überwachen (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med).
- Hormonelle Kontrazeptiva/Hormontherapie: belastbare klinische Daten zu Interaktionen fehlen; theoretisch sind CYP3A4-vermittelte Effekte möglich → bei relevanter Komedikation auf Durchbruchblutungen/Nebenwirkungen achten und ggf. ärztlich abklären (mechanistische Ableitung; vgl. Devinsky et al. 2017).
Besondere Vorsichtspunkte:
- Fahreignung/Alltag: Unter THC-haltigen Präparaten bis zur stabilen Einstellung kein Führen von Fahrzeugen/Maschinen (Whiting et al. 2015).
- Schwangerschaft/Stillzeit/Kinderwunsch: Für Cannabinoide liegen keine gesicherten Sicherheitsdaten vor; Anwendung in der Regel nicht empfohlen – ärztlich besprechen (Übersichtsstandpunkt: Whiting et al. 2015).
- Vaginale/topische Anwendung: klinische Daten sehr begrenzt; systemische Effekte vermutlich gering, Wirksamkeit/Sicherheit jedoch nicht belegt (Sanchez et al. 2021, Int J Mol Sci 22:12338).
Einordnung:
Das Sicherheitsprofil entspricht dem bei anderen chronischen Schmerzkollektiven: Nebenwirkungen sind meist mild–moderat und dosisabhängig; sie lassen sich durch niedrige Startdosen, langsame Titration, abendliche Gabe und Komedikations-Check häufig gut steuern (Mücke et al. 2018, Cochrane; Devinsky et al. 2017).
Off-Label-Use und offene Forschungsfragen
Zulassungsstatus:
Für Endometriose gibt es kein zugelassenes Cannabisarzneimittel. Anwendungen erfolgen off-label, gestützt vor allem auf Beobachtungs-/Umfragedaten und präklinische Modelle; randomisierte, placebokontrollierte Studien fehlen (Sinclair et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Schueler et al. 2019, J Pain Res 12:2013–2024; Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439).
Offene Fragen:
- Wirksamkeitsnachweis in RCTs: Es fehlen kontrollierte Studien mit standardisierten Endpunkten (z. B. Schmerzintensität, Tage mit Schmerz, Alltagsfunktion, Schlaf, Lebensqualität) und ausreichend langer Dauer (Sinclair et al. 2019; Schueler et al. 2019).
- Präparate & Applikationsformen: Unklar ist, ob THC, CBD oder Kombinationen überlegen sind; Daten zu oralen Extrakten, inhalativen Formen und lokalen (vaginal/topisch) Anwendungen sind spärlich (Sanchez et al. 2021, Int J Mol Sci 22:12338).
- Dosisfindung/Titration: Es existieren keine standardisierten Schemata; optimale Startdosen, THC/CBD-Verhältnisse und Tageszeiten (z. B. eher abends) sind zu definieren (Whiting et al. 2015, JAMA 313:2456–2473).
- Mechanistische Validierung beim Menschen: Rolle von CB1/CB2, TRPV1, PPARγ in Endometriose-Läsionen und bei viszeraler Hyperalgesie klinisch bestätigen (Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439; Sanchez et al. 2021, Int J Mol Sci 22:12338).
- Subgruppen & Begleittherapien: Welche Patientinnen (z. B. schmerzdominant, Schlaf-/Angstkomponente, postoperativ) profitieren am meisten? Interaktionen mit NSAR, Hormontherapien und Neuromodulatoren klären (Maccarrone et al. 2021, Int J Mol Sci 22:10360).
- Reproduktion/Sicherheit: Einfluss auf Zyklus, Fertilität, Schwangerschaft/Stillzeit ist unzureichend untersucht; Bedarf an Sicherheitskohorten (Whiting et al. 2015, JAMA 313:2456–2473).
Evidenzlage:
Die bisherige Datenbasis besteht überwiegend aus Selbstberichten, Befragungen und Beobachtungsstudien sowie Tiermodellen. Diese deuten auf Schmerzlinderung, verbesserten Schlaf und teils reduzierten Analgetikabedarf unter Cannabisprodukten hin (Sinclair et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Armour et al. 2019, BMC Complement Altern Med 19:195; Schueler et al. 2019, J Pain Res 12:2013–2024). CB1-Agonisten reduzierten in Modellen viszerale Hyperalgesie (Dmitrieva et al. 2010, Pain 151:433–439). Randomisierte, placebokontrollierte Studien mit standardisierten Endpunkten fehlen jedoch.
Einzelne Patientinnen berichten von spürbarer Schmerzlinderung, besserem Schlaf und geringerem Medikamentenverbrauch, doch die Effekte sind individuell und nicht ausreichend belegt.
Ein Add-on-Ansatz mit klar definierten Therapiezielen (Schmerz, Schlaf, Funktion) und ärztlicher Begleitung erscheint sinnvoll, bis robuste randomisierte Studien zu Wirksamkeit, Dosierung, Applikationsform und Langzeitsicherheit vorliegen (Whiting et al. 2015, JAMA 313:2456–2473).