Standardversand: kostenlos, Expressversand: 17,99 EUR
Standardversand: kostenlos, Expressversand: 17,99 EUR
Telefon: 030-75435911
Kostenloser Standardversand

Cannabis bei ADHS

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine komplexe neuropsychiatrische Erkrankung, die durch Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und emotionale Dysregulation gekennzeichnet ist. Neben der klassischen Trias treten bei Erwachsenen häufig Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Schlafprobleme auf. Standardtherapien – vor allem Methylphenidat, Amphetaminsalze und Verhaltenstherapie – gelten als effektiv, führen jedoch nicht bei allen Patient:innen zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle oder sind wegen Nebenwirkungen wie Nervosität, Appetitverlust oder Schlafstörungen nur eingeschränkt verträglich.

Vor diesem Hintergrund wird zunehmend der Einsatz von Cannabisarzneien bei therapieresistentem ADHS diskutiert. Einzelne Fallberichte und offene Anwendungsbeobachtungen beschreiben eine subjektive Verbesserung von Konzentration, innerer Ruhe und Impulskontrolle unter THC- oder CBD-haltigen Präparaten (Strohbeck-Kühner P, Skopp G, Mattern R (2007); Müller-Vahl K & Grotenhermen F, Cannabis und Cannabinoide, 2. Auflage 2024). Diese Beobachtungen werden auch in der aktuellen Fachliteratur als Hypothese aufgegriffen (Bayer R, Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023), wobei betont wird, dass belastbare klinische Wirksamkeitsnachweise fehlen.

Neurobiologisch erscheint der Ansatz plausibel: Das Endocannabinoid-System ist wesentlich an der Regulation von Aufmerksamkeit, Motivation und Impulskontrolle beteiligt. Eine Dysregulation von CB1-Rezeptoren im präfrontalen Kortex sowie genetische Varianten des FAAH-Enzyms könnten zur typischen Reizoffenheit und dopaminergen Dysbalance bei ADHS beitragen (Ahmadalipour A et al., Genomics 2020; 112:1330–1334).

Die bisherige klinische Evidenz ist jedoch äußerst begrenzt. In einer kleinen, sechs Wochen dauernden Pilotstudie mit einem THC/CBD-Spray (Nabiximols) bei Erwachsenen mit ADHS konnte der primäre Endpunkt nicht erreicht werden; explorative Signale zeigten sich lediglich in einzelnen sekundären Parametern (Cooper RE et al., European Neuropsychopharmacology 2017; 27(8):795–808). Größere, placebokontrollierte Studien liegen bislang nicht vor.

Zusammengefasst zeigen die bisherigen Daten, dass Cannabis bei ADHS derzeit keine etablierte Therapie darstellt, sondern ein experimenteller Ansatz mit interessanter neurobiologischer Grundlage ist, der weiterer Forschung bedarf.

Warum Cannabinoide bei ADHS wirken könnten

Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine zentrale Rolle in der Regulation von Aufmerksamkeit, Motivation, Impulskontrolle und emotionaler Reizverarbeitung – also genau den Funktionsbereichen, die bei ADHS gestört sind. CB1-Rezeptoren finden sich in hoher Dichte im präfrontalen Cortex, im Striatum und im Kleinhirn, also in Hirnregionen, die eng an der Steuerung exekutiver Funktionen beteiligt sind (Bayer R, Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023).

Präklinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Veränderungen in der Aktivität des ECS mit Aufmerksamkeits- und Impulskontrollstörungen assoziiert sein könnten. So beschrieben Ahmadalipour et al. genetische Varianten im FAAH-Gen, die mit veränderter Anandamid-Regulation und ADHS-Symptomen in Zusammenhang stehen (Ahmadalipour A et al., Genomics 2020; 112: 1330–1334). Eine verminderte endogene Cannabinoidaktivität könnte die top-down-Kontrolle der Reizverarbeitung schwächen und so zu erhöhter Reizoffenheit und Ablenkbarkeit führen – beides typische Merkmale des ADHS-Phänotyps.

THC, der wichtigste psychoaktive Bestandteil von Cannabis, wirkt als partieller Agonist am CB1-Rezeptor und kann dadurch die Freisetzung der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin modulieren, die eine zentrale Rolle bei Aufmerksamkeitssteuerung und Impulskontrolle spielen. Fallberichte beschreiben, dass erwachsene ADHS-Patient:innen unter standardisierten THC-haltigen Präparaten über eine gesteigerte Konzentrationsfähigkeit und eine Abnahme innerer Unruhe berichteten (Strohbeck-Kühner P, Skopp G, Mattern R (2007); Müller-Vahl K & Grotenhermen F, Cannabis und Cannabinoide, 2. Auflage 2024).

CBD entfaltet seine Wirkung dagegen überwiegend über nicht-CB1-vermittelte Mechanismen – insbesondere über 5-HT1A-, TRPV- und PPAR-Rezeptoren. Dadurch können angst- und stressreduzierende Effekte entstehen, die sekundär auch ADHS-Symptome mildern. Bayer hebt hervor, dass die anxiolytischen und stressregulierenden Eigenschaften von CBD zur Stabilisierung der emotionalen Balance beitragen und so indirekt die Aufmerksamkeitssteuerung unterstützen könnten (Bayer R, Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023).

Insgesamt sprechen die bisherigen Befunde für eine mögliche modulierende Rolle des Endocannabinoid-Systems bei ADHS, insbesondere über dopaminerge und serotonerge Schnittstellen. Der therapeutische Nutzen bleibt jedoch hypothetisch: Zwar ist die neurobiologische Plausibilität gut begründet, doch fehlen bislang kontrollierte klinische Studien, um eine ursächliche oder therapeutisch nutzbare Wirkung sicher zu belegen (Cooper RE et al., European Neuropsychopharmacology 2017; 27(8): 795–808).

Klinische & Beobachtungsstudien

Die klinische Evidenz zu Cannabis bei ADHS ist bislang sehr begrenzt. Die einzige randomisierte, placebokontrollierte Studie stammt von Cooper und Kolleg:innen (European Neuropsychopharmacology 2017; 27(8): 795–808). In dieser sechswöchigen, doppelblinden Pilotstudie erhielten 30 Erwachsene mit ADHS entweder ein THC/CBD-Spray (Nabiximols, 1:1) oder Placebo. Der primäre Endpunkt – eine objektive Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung im QbTest – wurde nicht erreicht. In einzelnen sekundären Parametern zeigten sich jedoch Hinweise auf Verbesserungen bei Hyperaktivität und Inhibition. Diese Effekte waren explorativ und statistisch nicht signifikant nach Korrektur für multiples Testen. Die Behandlung wurde insgesamt gut vertragen; Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel oder Mundtrockenheit traten mild bis moderat auf (Cooper RE et al., European Neuropsychopharmacology 2017; 27(8): 795–808).

Einzelfallberichte liefern ergänzende Hinweise auf mögliche therapeutische Effekte. So beschreibt Hupli einen erwachsenen Patienten mit ADHS, der unter standardisierten Cannabisextrakten über eine stabilisierende Wirkung und verbesserte Konzentrationsfähigkeit berichtete (Hupli, A. (2018). Medical Cannabis for Adult Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Sociological Patient Case Report of Cannabinoid Therapeutics in Finland.). Auch Strohbeck-Kühner und Kolleg:innen berichten über Fälle, in denen sich ADHS-Symptome durch Cannabisarzneien subjektiv besserten (Strohbeck-Kühner P, Skopp G, Mattern R (2007)).

Eine US-amerikanische Querschnittsstudie untersuchte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum, subklinischen ADHS-Symptomen und kognitiver Leistungsfähigkeit. Dabei zeigten sich deutliche, dosisabhängige Effekte: Regelmäßiger Cannabiskonsum war mit verlangsamter Reaktionszeit und eingeschränkter Aufmerksamkeit assoziiert, während subklinische ADHS-Symptome keinen eigenständigen Einfluss auf die Testleistung hatten (Wallace AL et al., Effects of Cannabis Use and Subclinical ADHD Symptomology on Attention Based Tasks in Adolescents and Young Adults, Archives of Clinical Neuropsychology 2019; 34(5): 700–712).

Diese Befunde deuten auf eine komplexe, dosisabhängige Beziehung zwischen Cannabiskonsum und ADHS-relevanten Symptomen hin, ohne jedoch eine therapeutische Wirksamkeit zu belegen.

Neurobiologische Grundlagen

Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine zentrale Rolle in der Regulation von Aufmerksamkeit, Motivation, Impulskontrolle und emotionaler Reizverarbeitung – also genau den Prozessen, die bei ADHS typischerweise beeinträchtigt sind. CB1-Rezeptoren sind in hoher Dichte im präfrontalen Cortex, im Striatum und im Kleinhirn lokalisiert – Hirnregionen, die wesentlich an der Steuerung exekutiver Funktionen beteiligt sind (Bayer R., Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023, Kapitel 4 und 20).

Präklinische und genetische Studien deuten darauf hin, dass Störungen des Endocannabinoid-Systems mit der Pathophysiologie von ADHS in Zusammenhang stehen könnten. So fanden Ahmadalipour und Kolleg:innen, dass bestimmte Polymorphismen im Gen der Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH) – dem Schlüsselenzym für den Abbau des Endocannabinoids Anandamid – mit ADHS-Symptomen assoziiert sind. Diese genetischen Varianten können zu veränderten Anandamid-Spiegeln und einer Dysbalance dopaminerger Signalübertragung führen, was eine verminderte top-down-Kontrolle und erhöhte Reizoffenheit begünstigen könnte (Ahmadalipour A. et al., Genomics 2020; 112: 1330–1334).

THC, der wichtigste psychoaktive Bestandteil von Cannabis, wirkt als partieller Agonist am CB1-Rezeptor und kann dadurch die Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin modulieren – beides Neurotransmitter, die maßgeblich an Aufmerksamkeitssteuerung und Impulskontrolle beteiligt sind. In klinischen Einzelfällen wurde unter THC-haltigen Präparaten über eine verbesserte Konzentration, geringere Hyperaktivität und eine Stabilisierung der Stimmung berichtet (Strohbeck-Kühner P, Skopp G, Mattern R (2007); Müller-Vahl K. & Grotenhermen F., Cannabis und Cannabinoide, 2. Auflage 2024).

CBD hingegen bindet nur schwach an CB1-Rezeptoren und entfaltet seine Wirkung überwiegend über alternative Signalwege, etwa über 5-HT1A-, TRPV- und PPAR-Rezeptoren. Diese Mechanismen werden mit angstlösenden, stressreduzierenden und neuroprotektiven Effekten in Verbindung gebracht, die sekundär ADHS-Symptome abmildern könnten. Bayer (2023) beschreibt, dass die stressmodulierende Wirkung von CBD insbesondere bei emotionaler Dysregulation und Reizüberflutung stabilisierend wirken kann (Bayer R., Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023).

Insgesamt stützen diese Befunde die Hypothese, dass eine Modulation des Endocannabinoid-Systems bei ADHS potenziell therapeutisch relevant sein könnte – insbesondere durch die Beeinflussung dopaminerger und serotonerger Schnittstellen. Die neurobiologische Plausibilität ist damit gegeben, doch ein kausaler oder klinisch relevanter Nutzen bleibt bislang unbewiesen. Bestätigende, kontrollierte Studien stehen weiterhin aus (Cooper RE et al., European Neuropsychopharmacology 2017).

Sicherheit und Nebenwirkungen

Die bisherige Evidenz zur Verträglichkeit von Cannabisarzneien bei ADHS basiert fast ausschließlich auf der Pilotstudie von Cooper et al. sowie auf Erfahrungen aus anderen Anwendungsbereichen. In der sechswöchigen, doppelblinden Studie mit Nabiximols (THC:CBD = 1:1) berichteten die Teilnehmenden überwiegend über milde bis moderate Nebenwirkungen. Am häufigsten traten Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit und leichte kognitive Beeinträchtigungen auf. Diese Effekte waren dosisabhängig und klangen nach Dosisreduktion oder Therapiepause meist vollständig ab (Cooper RE et al., European Neuropsychopharmacology 2017; 27(8): 795–808).

Vereinzelt wurden psychische Nebenwirkungen wie Angst, Dysphorie oder Stimmungsschwankungen beobachtet, die in der Regel reversibel blieben (Strohbeck-Kühner P, Skopp G, Mattern R (2007)). Auch in Fallberichten aus der klinischen Praxis, etwa bei Müller-Vahl & Grotenhermen (2024), zeigen sich keine Hinweise auf schwerwiegende oder persistierende unerwünschte Ereignisse.

Für CBD-haltige Präparate existieren bislang keine randomisierten Studien speziell bei ADHS. Erkenntnisse zur Sicherheit stammen daher überwiegend aus Untersuchungen bei Epilepsie und chronischen Schmerzsyndromen. Dort wurden insbesondere Schläfrigkeit, verminderter Appetit, Durchfall und reversible Leberenzymerhöhungen berichtet (Devinsky O. et al., N Engl J Med 2017; 376: 2011–2020).

Besondere Vorsicht ist bei gleichzeitiger Einnahme anderer Psychopharmaka geboten. Cannabinoide können pharmakodynamisch sedierend wirken und über die Hemmung von Cytochrom-P450-Isoenzymen (v. a. CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19) die Plasmaspiegel zahlreicher Medikamente – darunter Stimulanzien, Antidepressiva und Antipsychotika – verändern. Auch mögliche additive Effekte auf Müdigkeit oder Konzentrationsfähigkeit müssen klinisch berücksichtigt werden (Bayer R., Cannabis Science and Therapeutics, CRC Press 2023, Kap. 20).

Langfristige Sicherheitsdaten fehlen bislang vollständig. Weder die Auswirkungen chronischer Cannabinoidgabe auf Kognition, Motivation und Fahreignung noch potenzielle Interaktionen mit Verhaltenstherapien oder Stimulanzien sind ausreichend untersucht. Entsprechend gilt die derzeitige Datenlage als vorläufig; größere prospektive Studien sind notwendig, um Nutzen und Risiko zuverlässig zu bewerten (Cooper RE et al., 2017; Müller-Vahl & Grotenhermen, 2024).