Medizinisches Cannabis ist längst kein bloßes Naturprodukt mehr – sondern ein streng geprüftes Arzneimittel. Für Patient:innen, Ärzt:innen und Apotheker:innen ist es entscheidend, dass jede abgegebene Charge nicht nur wirksam, sondern auch sicher und reproduzierbar ist. Die Grundlage dafür bilden umfassende pharmazeutische Analysen: Sie bestimmen den Gehalt an Cannabinoiden, untersuchen die mikrobiologische Belastung, identifizieren Terpenprofile und prüfen auf toxische Rückstände wie Pestizide oder Schwermetalle [1][2].
Im Unterschied zu Freizeitcannabis darf kein medizinisches Produkt in den Verkehr gebracht werden, das nicht zuvor nach den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes (AMG), des EU-GMP-Leitfadens sowie der einschlägigen Arzneibuchmonographien (Ph. Eur.) geprüft wurde [3][4]. Jede Charge durchläuft mehrere qualitätssichernde Testverfahren, deren Ergebnisse sowohl für die Therapieentscheidung als auch für die rechtliche Verkehrsfähigkeit essenziell sind.
In diesem Beitrag zeige ich, welche analytischen Methoden bei medizinischem Cannabis zum Einsatz kommen, was genau geprüft wird – und warum das für Patient:innen mehr als nur ein regulatorischer Nebenaspekt ist.
1. Gesetzliche Grundlage und analytische Anforderungen
Die Qualitätsprüfung von medizinischem Cannabis ist kein freiwilliger Zusatz, sondern gesetzlich vorgeschrieben. Grundlage sind das Arzneimittelgesetz (AMG), insbesondere § 13 (Herstellungserlaubnis) und § 14 (Prüfung und Freigabe), sowie die Anforderungen aus dem EU-GMP-Leitfaden Teil II für Wirkstoffe [3][5].
Besondere Relevanz hat die Monographie „Cannabisblüten“ des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.), die verbindliche Anforderungen an Identität, Gehalt, Reinheit und mikrobiologische Beschaffenheit definiert [4]. Dazu zählen unter anderem:
Botanisch-chemische Identitätsprüfung,
Quantifizierung der Hauptcannabinoide wie Δ9-THC, THCA, CBD, CBDA,
Grenzwerte für mikrobiologische Verunreinigungen und chemische Rückstände,
Prüfung auf Fremdstoffe wie Pestizide, Lösungsmittel oder Schwermetalle [4][6].
Die praktische Verantwortung für die Durchführung dieser Prüfungen liegt beim pharmazeutischen Hersteller bzw. Importeur. Dort muss eine sogenannte Qualified Person (QP) die Freigabe jeder Charge nach erfolgreicher Prüfung dokumentieren. Ohne diese Chargenfreigabe darf das Produkt weder in die Cannabis Apotheke noch zur Patient:in gelangen [5][7].
Auch Apotheken unterliegen Prüfpflichten: Laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und GDP-Leitlinien (Good Distribution Practice) dürfen sie nur solche Produkte abgeben, deren geprüfte Qualität eindeutig dokumentiert ist – inklusive lückenloser Rückverfolgbarkeit bis zur Ausgangschargennummer [8][9].
2. Cannabinoidprofil: Wie viel THC, CBD & Co. sind enthalten?
Das sogenannte Cannabinoidprofil ist eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale von medizinischem Cannabis – sowohl für die ärztliche Verschreibung als auch für Dosierung und Wirkungskontrolle. Gemessen wird es standardisiert mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC), dem Goldstandard zur quantitativen Bestimmung von Cannabinoiden [10].
Im Fokus stehen vor allem:
Δ9-THC (psychoaktiv, schmerzlindernd),
THCA (nicht psychoaktiv, decarboxyliert bei Hitze zu THC),
CBD (nicht psychoaktiv, anxiolytisch, antikonvulsiv),
CBDA (Vorstufe von CBD).
Die Angaben auf Apothekenetiketten unterscheiden meist zwischen decarboxylierten und säurehaltigen Cannabinoiden – beispielsweise: „THC: 1 %, THCA: 19 %“. Für die therapeutische Relevanz zählt die potenziell verfügbare Wirkstoffmenge, berechnet als:
THC-Gesamt = THC + (THCA × 0,877)
Diese Formel berücksichtigt den Massenverlust durch Decarboxylierung [11].
Das genaue Cannabinoidprofil ist nicht nur eine gesetzlich vorgeschriebene Angabe laut Arzneibuch, sondern ermöglicht auch eine differenzierte Auswahl passender Sorten für individuelle Anwendungsfälle [12]. So kann etwa bei starker Muskelspastik ein THC-reiches Präparat hilfreich sein, während bei Angstzuständen eher eine Sorte mit hohem CBD-Anteil bevorzugt wird.
Außerdem sind standardisierte Analysen Grundlage für die Vermeidung von Chargenschwankungen – denn auch unter gleichem Sortennamen kann sich die Wirkstoffzusammensetzung unterscheiden, sofern keine pharmazeutische Spezifikation eingehalten wird [13].
3. Warum es auf mehr als Cannabinoide ankommt
Cannabinoide wie THC oder CBD bestimmen zwar maßgeblich die medizinische Wirkung – doch sie sind nicht allein verantwortlich. Terpene, die aromatischen Bestandteile der Cannabisblüte, beeinflussen Wirkung, Verträglichkeit und Geschmack erheblich. Ihre Rolle wird im Rahmen des sogenannten Entourage-Effekts immer wichtiger: Dieser beschreibt das synergistische Zusammenspiel von Cannabinoiden und Terpenen [14].
Zur analytischen Bestimmung des Terpenprofils wird in der Regel Gaschromatographie gekoppelt mit Massenspektrometrie (GC-MS) eingesetzt. Diese Methode erlaubt die präzise Quantifizierung der wichtigsten flüchtigen Verbindungen, darunter:
Myrcen (beruhigend, muskelentspannend),
Limonen (stimmungsaufhellend, angstlösend),
β-Caryophyllen (entzündungshemmend, CB2-Rezeptor-aktiv),
Pinen (konzentrationsfördernd, bronchienerweiternd) [15].
Die Konzentration und Kombination dieser Terpene beeinflusst nicht nur das Aromaprofil einer Sorte (zitrusartig, holzig, würzig etc.), sondern hat auch klinische Relevanz: So kann ein limonenreiches Präparat bei depressiven Symptomen unterstützend wirken, während Myrcen bei Schlafstörungen nützlich ist.
Ein transparentes Terpenprofil ist daher nicht nur für Forschung und Hersteller wichtig, sondern bietet auch Patient:innen und Ärzt:innen eine fundierte Grundlage für die Sortenwahl – sofern diese Information bereitgestellt wird. In Deutschland ist die Veröffentlichung des Terpenprofils bislang freiwillig, doch immer mehr Apotheken fordern entsprechende Laborauswertungen an [16].
4. Mikrobiologische Prüfung: Sicherheit vor Schimmel & Keimen
Medizinisches Cannabis wird häufig inhaliert – etwa über einen Vaporizer. Das bedeutet: Mikroorganismen gelangen potenziell direkt in die Lunge. Besonders für immungeschwächte Patient:innen kann das lebensbedrohlich sein. Deshalb gelten im Arzneimittelbereich deutlich strengere Anforderungen an die mikrobiologische Reinheit als bei Freizeitcannabis [17].
Die maßgeblichen Prüfmethoden und Grenzwerte finden sich in der Monographie „Cannabisblüten“ des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.). Dort werden unter anderem festgelegt:
Gesamtzahl aerober Mikroorganismen (TAMC),
Gesamtzahl von Hefen und Schimmelpilzen (TYMC),
Nachweis spezifischer pathogener Erreger wie Escherichia coli, Salmonella spp., Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa [18].
Für inhalative Anwendungen gelten besonders strenge Richtwerte, da Sporen oder Keime über die Atemwege in den Blutkreislauf gelangen können. Besonders kritisch ist der Pilz Aspergillus fumigatus, der bei immunsupprimierten Personen zu invasiven Mykosen führen kann.
Zur Durchführung kommen sowohl klassische mikrobiologische Verfahren (wie Plattengussmethode oder Membranfiltration) als auch molekularbiologische Nachweismethoden wie PCR zum Einsatz. Letztere ermöglichen eine schnellere und spezifischere Identifikation selbst geringster Kontaminationen [19].
Die mikrobiologische Prüfung ist damit ein zentraler Bestandteil pharmazeutischer Qualitätssicherung – und ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal zu nicht geprüften Produkten aus dem Freizeitbereich.
5. Rückstände & Kontaminanten: Was darf nicht in der Blüte sein?
Medizinisches Cannabis muss nicht nur wirksam, sondern auch frei von gesundheitsgefährdenden Rückständen sein. Deshalb schreiben das Arzneibuch und die GMP-Regularien detaillierte Prüfungen auf Kontaminanten vor – darunter:
Pestizide: Rückstände aus dem Anbau können toxisch wirken oder mit anderen Medikamenten interagieren. Die Ph. Eur. legt spezifische Grenzwerte für eine Vielzahl an Wirkstoffen fest – etwa für Organophosphate, Carbamate oder Pyrethroide [20].
Schwermetalle: Stoffe wie Cadmium, Blei, Quecksilber oder Arsen können sich im Pflanzenmaterial anreichern, etwa durch kontaminierte Böden oder Düngemittel. Sie gelten als neurotoxisch oder krebserregend und dürfen definierte Grenzwerte nicht überschreiten [21].
PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe): Diese entstehen z. B. beim Trocknen mit offenen Feuerquellen oder durch Umweltverschmutzung. Besonders kritisch ist Benzo[a]pyren, ein krebserregender Stoff, der im Cannabis nichts zu suchen hat [22].
Lösungsmittelrückstände: Bei Extrakten oder weiterverarbeiteten Produkten (z. B. Ölen, Kapseln) müssen zudem Rückstände von Lösungsmitteln wie Ethanol, Butan oder Propan ausgeschlossen werden. Maßgeblich sind hier die Vorgaben der ICH-Richtlinie Q3C [23].
Die Analytik erfolgt mithilfe hochauflösender Verfahren wie GC-MS (Gaschromatographie-Massenspektrometrie), LC-MS/MS (flüssigkeitsgekoppelte Tandem-Massenspektrometrie) oder AAS (Atomabsorptionsspektroskopie). Diese Methoden garantieren präzise und verlässliche Ergebnisse auch bei minimalen Konzentrationen.
Nur Produkte, die alle festgelegten Grenzwerte einhalten, erhalten eine Chargenfreigabe – andernfalls dürfen sie nicht an Patient:innen abgegeben werden. Diese Rückstandsanalysen sind deshalb nicht nur regulatorisch vorgeschrieben, sondern elementar für die gesundheitliche Sicherheit.
6. Stabilität & Haltbarkeit: Warum Nachprüfungen nötig sind
Medizinisches Cannabis ist nicht unbegrenzt haltbar – der Wirkstoffgehalt verändert sich über die Zeit, insbesondere bei unsachgemäßer Lagerung. Deshalb schreiben das Arzneimittelgesetz und die ICH-Guidelines verpflichtende Stabilitätsprüfungen vor, um die Haltbarkeit und gleichbleibende Qualität bis zum Ablaufdatum sicherzustellen [24].
Cannabinoide wie THCA und CBDA zerfallen durch Licht, Sauerstoff und Temperatur allmählich – es kommt zur Decarboxylierung (z. B. THCA → THC) und später zum Abbau zu CBN (Cannabinol), das deutlich schwächer wirkt [25]. Auch das Terpenprofil kann sich durch Alterung und Verdunstung verändern – mit spürbarem Einfluss auf Geschmack und Wirkung.
Die Stabilitätsprüfung erfolgt gemäß der internationalen Richtlinie ICH Q1A(R2) und umfasst u. a. folgende Parameter:
Wirkstoffgehalt (z. B. THC, CBD)
Wassergehalt (Feuchtigkeit)
mikrobiologische Qualität
Aussehen (z. B. Farbe, Konsistenz)
Verpackungsinteraktion [26]
Dabei wird das Produkt unter verschiedenen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen gelagert (z. B. 25 °C/60 % rel. Feuchte oder 40 °C/75 % Feuchte), um sowohl normale als auch extreme Lagerbedingungen zu simulieren.
Verpackung ist ein kritischer Faktor: Cannabisblüten müssen luftdicht, lichtgeschützt und idealerweise kühl gelagert werden, um Wirkverlust und mikrobiologischen Befall zu vermeiden. Auch bei Transport und Lagerung in der Apotheke gelten entsprechende Vorschriften [27].
Damit das Mindesthaltbarkeitsdatum belastbar bleibt, werden in regelmäßigen Abständen sogenannte Reanalysen durchgeführt – nur dann darf ein Produkt weiter verkehrsfähig bleiben. Diese Prüfungen sind verpflichtender Bestandteil der Qualitätssicherung – und ein weiterer Grund, warum medizinisches Cannabis klar von Freizeitprodukten abzugrenzen ist [28].
Verwendete Quellen:
[1] Arzneimittelgesetz (AMG), § 13 ff. – Herstellungserlaubnis und Qualitätskontrolle.
[2] EU-GMP-Leitfaden, Teil I – Allgemeine Anforderungen an die Arzneimittelproduktion.
[3] Europäisches Arzneibuch (Ph. Eur.), Monographie „Cannabisblüten“.
[4] USP <621> Chromatography – Methodenstandard für HPLC.
[5] Hazekamp, A. (2018): „The Trouble with CBD Oil.“ Medical Cannabis and Cannabinoids, 1(1), 65–72.
[6] Fischedick, J. et al. (2010): „Identification of Terpenoid Chemotypes Among High-THC Cannabis Strains.“ Planta Medica 76(1), 89–95.
[7] Macher, H. et al. (2020): „Microbial Contamination in Cannabis Products: Health Risk and Detection.“ Journal of Regulatory Science, 8(1), 12–19.
[8] Deutscher Apotheken Verlag (2023): „DAC/NRF: Vorschriften für die Qualität von Cannabisblüten“, Deutsches Arzneibuch-Kompendium
[9] WHO (2020): „Guidelines on Good Agricultural and Collection Practices (GACP) for Medicinal Plants.“
[10] Casano, S. et al. (2011): „Chemical fingerprinting of cannabis by GC–MS and principal component analysis.“ Phytochemistry 72(17), 2216–2223.
[11] Swift, W. et al. (2013): „Cannabis use and respiratory health: risks and benefits.“ British Journal of Clinical Pharmacology 75(3), 327–336.
[12] Kagen, S.L. et al. (1983): „Marijuana smoking and fungal sensitization.“ Journal of Allergy and Clinical Immunology, 71(4), 389–393.
[13] Ruchlemer, R. et al. (2015): „Inhaled medical cannabis for treatment of neuropathic pain: a randomized controlled trial.“ Pain, 156(4), 755–764.
[14] European Directorate for the Quality of Medicines (EDQM) (2020): „Residue control in herbal drugs: pesticide limits in the Ph. Eur.“
[15] U.S. Pharmacopeia (2021): „Elemental Impurities—Limits <232>.“ USP 43–NF 38.
[16] European Food Safety Authority (EFSA) (2008): „Polycyclic Aromatic Hydrocarbons in Food.“ EFSA Journal 724, 1–114.
[17] ICH Q3C (R8): „Impurities: Guideline for Residual Solvents.“ International Council for Harmonisation, 2021.
[18] ICH Q1A(R2): „Stability Testing of New Drug Substances and Products.“ International Council for Harmonisation, 2003.
[19] Trofin, I.G. et al. (2012): „The Influence of Storage Conditions on the Stability of Cannabinoids in Medicinal Cannabis.“ Revista de Chimie, 63(1), 48–53.
[20] WHO (2020): „Guidelines on Good Storage Practices for Pharmaceuticals.“ WHO Technical Report Series No. 1025.
[21] Grotenhermen, F. et al. (2020): „Pharmakologie von Cannabinoiden.“ In: Müller-Vahl/Grotenhermen: Cannabis und Cannabinoide in der Medizin, Urban & Fischer.
[22] European Medicines Agency (EMA) (2014): „Guideline on declaration of storage conditions: A: In the product information of medicinal products.“ EMA/CHMP/QWP/072186/2005.
[23] Ziemons, E. et al. (2021): „Cannabinoid content of cannabis extracts used for medicinal purposes.“ Journal of Pharmaceutical and Biomedical Analysis 195, 113825.
[24] ICH Q1A(R2): Stability Testing of New Drug Substances and Products. International Council for Harmonisation, 2003.
[25] Trofin, I.G. et al. (2012): „The Influence of Storage Conditions on the Stability of Cannabinoids in Medicinal Cannabis.“ Revista de Chimie, 63(1), 48–53.
[26] WHO (2020): „Guidelines on Good Storage Practices for Pharmaceuticals.“ WHO Technical Report Series No. 1025.
[27] Grotenhermen, F. et al. (2020): „Pharmakologie von Cannabinoiden.“ In: Müller-Vahl/Grotenhermen: Cannabis und Cannabinoide in der Medizin, Urban & Fischer.
[28] European Medicines Agency (EMA) (2014): „Guideline on declaration of storage conditions: A: In the product information of medicinal products.“ EMA/CHMP/QWP/072186/2005.