Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine chronisch belastende Reaktion auf traumatische Erfahrungen. Typische Kernsymptome sind Intrusionen, Albträume, Hyperarousal (Übererregbarkeit) und Vermeidungsverhalten. Diese Beschwerden können die Lebensqualität stark einschränken.
Standardtherapien wie traumafokussierte Psychotherapie und SSRI helfen vielen Betroffenen, erreichen aber besonders bei Albträumen und Schlafstörungen oft keine ausreichende Wirkung. Gerade diese Symptome gelten als hartnäckig und therapieresistent.
Vor diesem Hintergrund gewinnt der Anwendungsfall „Cannabis bei PTBS“ an Aufmerksamkeit. Betroffene berichten, dass cannabinoidhaltige Präparate, vor allem Nabilon (ein synthetisches THC-Derivat) oder CBD-haltige Produkte, Albträume und Hyperarousal reduzieren können. In einer placebokontrollierten Studie mit Veteran:innen zeigte Nabilon eine signifikante Reduktion von PTBS-Albträumen und eine Verbesserung des Schlafs (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588). In einer offenen Studie berichtete Fraser (2009, CNS Neurosci Ther 15:84–88) ähnliche Effekte.
Auch CBD wird in retrospektiven Analysen als hilfreich bei PTBS-Symptomen beschrieben, zum Beispiel in der Auswertung von Elms et al. (2019, J Altern Complement Med 25(4):392–397), in der Patient:innen unter CBD von weniger Albträumen und weniger Hyperarousal berichteten.
Diese Daten sind jedoch vorläufig: Es gibt kein zugelassenes Cannabisarzneimittel für PTBS, und die Studien sind klein und heterogen (Walsh et al. 2017, J Dual Diagn 13(3):139–147; Black et al. 2019, Lancet Psychiatry 6:995–1010).
Warum Cannabinoide bei PTBS wirken könnten
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist eng an der Regulation von Stressreaktionen, Angstverarbeitung und Furchtextinktion beteiligt – also genau den Prozessen, die bei PTBS gestört sind. In einer PET-Studie fanden Neumeister et al. (2015, PNAS 112(29):9143–9148), dass Patient:innen mit PTBS eine verminderte CB1-Rezeptor-Bindung und niedrigere Anandamid-Spiegel im Gehirn aufweisen. Diese Defizite könnten zu einer verminderten Fähigkeit beitragen, traumabezogene Furcht abzubauen.
Präklinische Studien zeigen, dass die Aktivierung des ECS die Furchtextinktion und das emotionale Gedächtnis verbessern kann. Morena et al. (2014, Nat Neurosci 17(3):410–417) konnten in Tiermodellen nachweisen, dass eine Modulation des ECS die Stressreaktion senkt und Furchtgedächtnisse abschwächt.
Auch beim Menschen gibt es experimentelle Hinweise: Rabinak et al. (2014, Neuropsychopharmacology 39(2):499–506) zeigten, dass THC in niedriger Dosis in einem Laborparadigma die Furchtextinktion verstärkt. CBD wiederum wirkt über 5-HT1A- und TRPV-Rezeptoren anxiolytisch und kann in präklinischen Modellen Hyperarousal und Angst dämpfen (Campos et al. 2013, Neuropharmacology 64:112–121).
Diese Befunde legen nahe, dass Cannabinoide bei PTBS-Symptomen wie Albträumen, Hyperarousal und Angst über mehrere neurobiologische Mechanismen angreifen könnten – allerdings sind diese Mechanismen bisher vor allem aus Tiermodellen und kleinen Humanstudien bekannt.
Studienlage
Nabilon – Albträume und Schlaf:
In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit Veteran:innen zeigte Nabilon, ein synthetisches THC-Derivat, eine signifikante Reduktion von PTBS-Albträumen und eine Verbesserung des Schlafs (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588). In einer offenen Studie bestätigte Fraser (2009, CNS Neurosci Ther 15:84–88) diese Befunde: Patient:innen berichteten von weniger Albträumen und besserem Schlaf, allerdings ohne Kontrollgruppe.
CBD – retrospektive Daten:
Elms et al. (2019, J Altern Complement Med 25(4):392–397) werteten retrospektiv Daten von Patient:innen mit PTBS aus, die CBD erhielten. Über mehrere Wochen berichteten die meisten über reduzierte Albträume, weniger Hyperarousal und bessere Schlafqualität. Dies sind jedoch Beobachtungsdaten ohne Placebokontrolle.
Medizinisches Cannabis – Beobachtungsstudien:
Bonn-Miller et al. (2021, J Psychiatr Res 137:360–367) untersuchten Veteran:innen, die medizinisches Cannabis nutzten, und fanden eine signifikante Verringerung der PTBS-Symptome über einen Zeitraum von etwa drei Monaten. Auch diese Analyse war nicht randomisiert und erlaubt daher keine Wirksamkeitsnachweise.
Systematische Reviews:
Walsh et al. (2017, J Dual Diagn 13(3):139–147) fassten die Studien zu Cannabis bei PTBS zusammen. Ihr Fazit: vielversprechende, aber sehr begrenzte Evidenz, vor allem zu Nabilon bei Albträumen; für andere Präparate fehlen belastbare Daten. Black et al. (2019, Lancet Psychiatry 6:995–1010) kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass größere, gut kontrollierte Studien nötig sind, bevor Cannabisarzneien bei PTBS empfohlen werden können.
Einordnung:
Die bisher beste Evidenz liegt für Nabilon bei Albträumen vor; für CBD und Cannabisblüten/-extrakte gibt es nur Beobachtungsdaten. Die Datenlage ist insgesamt vorläufig und heterogen.
Sicherheit und Nebenwirkungen
Nabilon/THC (PTBS-Studien):
In der placebokontrollierten Studie mit Veteran:innen traten unter Nabilon vor allem Schläfrigkeit, Schwindel, gelegentlich Mundtrockenheit und leichte kognitive Verlangsamung auf; schwere unerwünschte Ereignisse waren selten (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588). In der offenen Studie wurden ein ähnliches Profil und vereinzelt orthostatische Beschwerden beschrieben (Fraser 2009, CNS Neurosci Ther 15:84–88).
THC-typische Risiken (dosisabhängig):
Bei höheren Dosen können Angst, Dysphorie, Unruhe und selten psychotiforme Symptome auftreten; zudem Sedierung und Aufmerksamkeits-/Reaktionszeit-Verlangsamung, relevant für Fahren/Bedienen von Maschinen (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588).
CBD (Daten aus PTBS-Beobachtungen und anderen Indikationen):
In der retrospektiven PTBS-Auswertung wurde CBD insgesamt gut vertragen; berichtet wurden v. a. Schläfrigkeit und gastrointestinale Beschwerden (Elms et al. 2019, J Altern Complement Med 25(4):392–397). Aus randomisierten Studien in Epilepsie ist bekannt, dass hoch dosiertes CBD Schläfrigkeit, verminderten Appetit, Durchfall und erhöhte Leberenzyme verursachen kann – daher bei höheren Dosen Leberwerte kontrollieren (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020).
Interaktionen und Vorsichtspunkte:
- Sedierende Kombinationen (z. B. Benzodiazepine, Z-Drugs, Alkohol) können Müdigkeit verstärken (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588).
- CBD kann CYP2C19/CYP3A4 hemmen und dadurch Plasmaspiegel begleitender Medikamente erhöhen; Interaktionsprüfung empfohlen (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020).
- Traumabezogene Symptome: Bei vulnerablen Patient:innen kann THC kurzfristig Angst/Unruhe verstärken; langsame Titration und engmaschige klinische Kontrolle sind wichtig (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588).
Off-Label-Use und offene Forschungsfragen
Für PTBS gibt es kein zugelassenes Cannabisarzneimittel. Jede Verordnung erfolgt off-label und stützt sich auf kleine RCTs (Nabilon bei Albträumen), offene Studien und Beobachtungsdaten; robuste Wirksamkeitsnachweise für eine breite Anwendung fehlen (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588; Fraser 2009, CNS Neurosci Ther 15:84–88; Elms et al. 2019, J Altern Complement Med 25(4):392–397; Black et al. 2019, Lancet Psychiatry 6:995–1010).
Offene Fragen:
- Wirksamkeit jenseits von Albträumen: Ob Nabilon/THC oder CBD Intrusionen, Hyperarousal, Vermeidung oder gesamtklinische Scores verlässlich bessern, ist ungeklärt (Jetly et al. 2015; Black et al. 2019).
- Präparate und Dosierung: Welche Wirkstoffe (THC, Nabilon, CBD, Kombinationspräparate) und Dosen bei welchen Symptomclustern optimal sind, ist offen; standardisierte Titrationsschemata fehlen (Fraser 2009; Elms et al. 2019).
- Dauer- und Langzeiteffekte: Es gibt kaum Daten zu Langzeitwirksamkeit, Rückfallprävention und Absetzverläufen (Walsh et al. 2017, J Dual Diagn 13:139–147).
- Kombination mit Psychotherapie: Unklar ist, ob Cannabinoide die Wirksamkeit traumafokussierter Verfahren (z. B. Exposition, EMDR) fördern oder beeinträchtigen (Walsh et al. 2017; Black et al. 2019).
- Patient:innen-Selektion und Risiken: Wer profitiert (z. B. PTBS mit dominanten Albträumen) und bei wem Risiken (Angst/Dysphorie, Substanzgebrauchsstörung) überwiegen, ist nicht definiert (Bonn-Miller et al. 2021, J Psychiatr Res 137:360–367; Black et al. 2019).
- Biomarker und Mechanismen: Bedarf an ECS-Biomarkern (z. B. Anandamid, CB1-Bindung) zur Prädiktion des Ansprechens (Neumeister et al. 2015, PNAS 112:9143–9148).
- Sicherheit/Interaktionen: Systematische Daten zu Langzeitsicherheit, Suizidalität, kognitiven Effekten, Fahreignung und Interaktionen mit SSRI/SNRI, Prazosin, Hypnotika fehlen (Black et al. 2019).
Konsequenz für die Praxis:
Off-label-Einsatz nur nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung, niedrigen Startdosen, langsamer Titration und engmaschiger klinischer Kontrolle; Priorität haben größere, placebokontrollierte RCTs mit standardisierten Präparaten und patientenrelevanten Endpunkten (Jetly et al. 2015; Walsh et al. 2017; Black et al. 2019).
Evidenzlage
Die beste Evidenz liegt derzeit für Nabilon bei Albträumen vor: In einer randomisierten Studie bei Veteran:innen reduzierte Nabilon PTBS-Albträume und verbesserte den Schlaf signifikant (Jetly et al. 2015, Psychoneuroendocrinology 51:585–588). Eine offene Studie bestätigte diese Befunde (Fraser 2009, CNS Neurosci Ther 15:84–88). Für CBD und medizinisches Cannabis existieren nur retrospektive und Beobachtungsdaten mit Hinweisen auf Symptomlinderung, aber ohne belastbare Wirksamkeitsnachweise (Elms et al. 2019, J Altern Complement Med 25(4):392–397; Bonn-Miller et al. 2021, J Psychiatr Res 137:360–367).
Das Sicherheitsprofil entspricht dem aus anderen Anwendungsfällen: THC/Nabilon kann dosisabhängig Sedierung, Schwindel, kognitive Verlangsamung und bei vulnerablen Personen Angst/Dysphorie auslösen. CBD wird meist gut vertragen, es fehlen jedoch Langzeitdaten und systematische Interaktionsstudien (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020).
Es gibt kein zugelassenes Cannabisarzneimittel für PTBS. Der Einsatz bleibt off-label und sollte nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung, mit niedrigen Startdosen, langsamer Titration und engmaschiger ärztlicher Kontrolle erfolgen. Notwendig sind große, methodisch hochwertige RCTs mit standardisierten Präparaten, klaren Endpunkten (Albträume, Hyperarousal, Intrusionen) und Begleitstudien zur Sicherheit und zu Kombinationen mit Psychotherapie (Walsh et al. 2017, J Dual Diagn 13(3):139–147; Black et al. 2019, Lancet Psychiatry 6:995–1010).