In der Palliativversorgung stehen nicht Heilung, sondern Linderung von Symptomen und Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund. Für viele schwerkranke Menschen – etwa mit fortgeschrittener Krebserkrankung, ALS oder chronischer Organinsuffizienz – kann medizinisches Cannabis genau hier eine wertvolle Rolle spielen. Doch was ist belegt, was sind mögliche Effekte – und worauf muss geachtet werden?
Was bedeutet Palliativmedizin?
Palliativmedizin richtet sich an Menschen mit nicht heilbaren, lebensbegrenzenden Erkrankungen, bei denen kurative Therapien ausgeschöpft sind. Ziel ist:
- Kontrolle belastender Symptome (z. B. Schmerzen, Übelkeit, Luftnot)
- psychische Entlastung und Verbesserung der Stimmung
- Förderung der Selbstbestimmung und Alltagskompetenz
- Begleitung in der letzten Lebensphase
Cannabispräparate können dabei unterstützend eingesetzt werden – nicht als Heilmittel, sondern zur Symptomkontrolle und Lebensqualitätssteigerung.
Welche Beschwerden können mit Cannabis gelindert werden?
Laut Fachliteratur gibt es Hinweise auf Wirksamkeit bei folgenden Symptombereichen:
- Chronische Schmerzen (z. B. Tumorschmerz, Neuropathie)
- Appetitmangel und Kachexie
- Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie
- Schlafstörungen und nächtliche Unruhe
- Angst, depressive Verstimmung, Stress
Besonders wichtig: Die Anwendung erfolgt individualisiert – auf Basis von Beschwerden, Belastung und Begleitumständen.
Welche Präparate kommen zum Einsatz?
In der Palliativmedizin werden v. a. folgende Präparate verwendet:
- Dronabinol (THC-reiches Öl): besonders wirksam gegen Übelkeit, Appetitmangel, Tumorschmerz
- Cannabisblüten mit ausgewogenem THC/CBD-Verhältnis: für flexible Inhalation bei Unruhe oder Schmerzen
- CBD-reiche Extrakte: ergänzend bei Angst, Entzündung, Schlafproblemen
- Nabiximols (Sativex®): in Ausnahmefällen, z. B. bei Spastik oder begleitender MS
Die Auswahl richtet sich nach Zielsetzung, Dosierbedarf, Vorbehandlungen und möglichen Wechselwirkungen.
Was sagt die Studienlage?
- Eine Übersichtsarbeit von Häuser et al. (2017) zeigt, dass Cannabispräparate bei Krebspatient:innen Schmerzen, Übelkeit und Appetitverlust mildern können – mit moderater Evidenz [1].
- Bei Tumorschmerzen schnitt Dronabinol in Studien vergleichbar gut wie Opioide ab – teils mit besserer Verträglichkeit [2].
- In der Palliativpraxis berichten Ärzt:innen häufig von einer besseren Stimmungslage und Reduktion belastender Symptome – auch wenn randomisierte Daten oft fehlen [3].
Vorteile im palliativen Kontext
✔ Mehrdimensionale Wirkung (Schmerz, Schlaf, Appetit, Stimmung)
✔ Reduktion klassischer Medikamente (z. B. Opiate, Antiemetika, Neuroleptika)
✔ Selbstbestimmte Anwendung – besonders bei inhalativer Gabe
✔ Subjektiv positive Wirkung auf Lebensqualität und Autonomie
Risiken und Herausforderungen
⚠ Dosisanpassung bei schwerer Organinsuffizienz (Leber/Niere)
⚠ Psychische Effekte bei hoher THC-Sensitivität
⚠ Komplexes Wechselwirkungsprofil bei Multimedikation
⚠ Versorgungsschwierigkeiten bei manchen Präparaten
Daher ist eine erfahrene ärztliche Begleitung in Abstimmung mit Hospizdiensten, Pflege und Angehörigen zentral.
Sinnvolle Ergänzung
Medizinisches Cannabis kann in der Palliativmedizin eine sinnvolle Ergänzung sein – nicht kurativ, aber als individuell anpassbares Instrument zur Linderung belastender Symptome. Entscheidend ist der richtige Einsatz im Sinne der Patient:innen: mit Empathie, Erfahrung und therapeutischem Fingerspitzengefühl.
Literatur
[1] Häuser W et al. (2017): Systematische Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit von Cannabis in der Palliativmedizin. Dtsch Arztebl Int. 114(38):627–634.
[2] Lichtman AH et al. (2018): Results of a Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Study of Nabiximols Oromucosal Spray as an Adjunctive Therapy in Advanced Cancer Patients with Chronic Pain. J Pain Symptom Manage. 55(2):179–188.
[3] Radbruch L et al. (2021): Einsatz von Cannabinoiden in der Palliativversorgung. Zeitschrift für Palliativmedizin. 22(6):266–272.