Warum Cannabis bei Epilepsie ein Thema ist
Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, bei der sich wiederkehrende Anfälle durch eine Übererregbarkeit von Nervenzellen im Gehirn zeigen. Ein Teil der Patient:innen spricht nicht ausreichend auf Standardtherapien an und gilt als therapieresistent. In diesem Zusammenhang wird seit einigen Jahren Cannabis bzw. Cannabidiol (CBD) als ergänzende Behandlungsoption erforscht.
Vor allem für seltene Epilepsieformen wie das Dravet-Syndrom und das Lennox–Gastaut-Syndrom liegt inzwischen solide Evidenz aus randomisierten, kontrollierten Studien vor, die zeigen, dass CBD die Anfallshäufigkeit signifikant senken kann (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376(21):2011–2020; Thiele et al. 2018, Lancet 391(10125):1085–1096).
Wirkmechanismen
Das Endocannabinoid-System spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation neuronaler Erregbarkeit. Über CB1-Rezeptoren in bestimmten Hirnregionen werden Neurotransmitterfreisetzung und neuronale Netzwerke moduliert. Cannabidiol (CBD) wirkt dabei nicht direkt als klassischer CB1-Agonist, sondern beeinflusst verschiedene Zielstrukturen wie Ionenkanäle, Adenosin-Transporter und TRPV1-Rezeptoren, die alle an der Erregbarkeit von Nervenzellen beteiligt sind (Rosenberg et al. 2017, Epilepsia 58(7):1230–1236).
Diese vielfältigen Ansatzpunkte könnten erklären, warum CBD bei bestimmten therapieresistenten Epilepsien krampfmindernd wirkt, obwohl der genaue Mechanismus noch nicht vollständig verstanden ist (Perucca 2017, Epilepsia 58 Suppl 1:37–45).
Studienlage zu Cannabidiol (CBD) bei Epilepsie
Die bisher beste Evidenz für Cannabinoide bei Epilepsie liegt für Cannabidiol (CBD) vor. In mehreren randomisierten, kontrollierten Studien wurde CBD als Zusatztherapie bei seltenen, therapieresistenten Epilepsieformen wie dem Dravet-Syndrom und dem Lennox–Gastaut-Syndrom untersucht.
- In der Studie von Devinsky et al. 2017 (N Engl J Med 376(21):2011–2020) reduzierte CBD (20 mg/kg/Tag) die mittlere monatliche Anfallshäufigkeit bei Kindern mit Dravet-Syndrom um rund 39 % gegenüber 13 % unter Placebo.
- In der Studie von Thiele et al. 2018 (Lancet 391(10125):1085–1096) zeigte sich bei Lennox–Gastaut-Syndrom eine Reduktion der Sturzanfälle um etwa 44 % unter CBD gegenüber 22 % unter Placebo.
- Langzeitdaten aus offenen Extensionsstudien deuten darauf hin, dass die Wirksamkeit bei vielen Patient:innen auch nach mehreren Monaten erhalten bleibt (Devinsky et al. 2018, Epilepsy Behav 88:131–141).
Diese Ergebnisse haben zur Zulassung von Epidyolex® (reines CBD) für diese beiden Epilepsieformen in Europa geführt.
Evidenz zu THC und anderen Cannabinoiden
Im Gegensatz zu Cannabidiol (CBD) gibt es für THC und andere Cannabinoide bei Epilepsie bislang keine belastbare Evidenz aus randomisierten, kontrollierten Studien. Die Datenlage beschränkt sich auf Tiermodelle, Fallberichte und kleine offene Studien, die zwar vereinzelte krampfmindernde Effekte zeigen, aber nicht ausreichen, um Wirksamkeit und Sicherheit zuverlässig zu beurteilen (Perucca 2017, Epilepsia 58 Suppl 1:37–45).
Auch zu selteneren Cannabinoiden wie CBG oder THCV liegen derzeit keine klinischen Daten bei Epilepsie vor. Daher konzentriert sich die wissenschaftliche und regulatorische Aufmerksamkeit aktuell fast ausschließlich auf CBD.
Sicherheit und Nebenwirkungen
In RCTs und Langzeitbeobachtungen zu CBD traten Nebenwirkungen überwiegend als mild bis moderat auf. Häufig berichtet wurden Somnolenz/Schläfrigkeit, Durchfall, Appetit- und Gewichtsverlust sowie Erhöhung von Lebertransaminasen (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020; Thiele et al. 2018, Lancet 391:1085–1096; Devinsky et al. 2018, Epilepsy Behav 88:131–141).
Besondere Aufmerksamkeit erfordern Arzneimittelinteraktionen:
- Clobazam: CBD hemmt CYP2C19 → Anstieg von N-Desmethylclobazam, vermehrte Sedierung möglich; Dosisanpassung von Clobazam kann erforderlich sein (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med 376:2011–2020).
- Valproat: Kombination mit CBD ist mit häufigeren Transaminasen-Erhöhungen assoziiert; engmaschige Leberwertkontrollen empfohlen (Thiele et al. 2018, Lancet 391:1085–1096).
Die meisten Nebenwirkungen traten früh nach Therapiebeginn oder Dosissteigerung auf und besserten sich unter Dosisanpassung oder nach Absetzen. Insgesamt gilt CBD unter Studienbedingungen als verträglich, erfordert aber Monitoring von Sedierung, Gewicht/Appetit und Leberparametern.
Off-Label-Use und offene Forschungsfragen
Außerhalb der zugelassenen Anwendungsbereiche (Dravet- und Lennox–Gastaut-Syndrom) wird CBD teilweise off-label bei anderen Epilepsieformen eingesetzt – etwa fokalen therapieresistenten Epilepsien oder Tuberöser Sklerose. Die Evidenz stützt sich hier überwiegend auf kleine, unkontrollierte Studien, Registerdaten und Fallserien; belastbare randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) fehlen weitgehend (Perucca 2017, Epilepsia 58 Suppl 1:37–45).
Wesentliche Forschungsdesiderate:
- Langzeitdaten zur Wirksamkeit über mehrere Jahre, inkl. Remissionsraten und Funktionsoutcomes.
- Optimale Dosierung und Titrationsschemata in verschiedenen Altersgruppen und Epilepsiesyndromen.
- Kombinationsstrategien (CBD mit spezifischen Antiepileptika) inkl. Interaktionsprofilen jenseits von Clobazam/Valproat.
- Vergleichsstudien zu THC-armen vs. THC-haltigen Zubereitungen (klinischer Zusatznutzen von THC bislang unklar).
- Biomarker/Responderprofile zur Vorhersage, wer auf CBD wahrscheinlich anspricht.
- Sicherheitsdaten zu Wachstum, Entwicklung, Kognition und Leberfunktion bei Langzeittherapie, insbesondere im Kindesalter.
Bis entsprechende RCTs und Register mit langen Nachbeobachtungen vorliegen, bleibt der Einsatz außerhalb der Zulassung Einzelfallentscheidungen vorbehalten, idealerweise mit standardisiertem Monitoring von Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Interaktionen (Perucca 2017, Epilepsia 58 Suppl 1:37–45).
Datenlage
Für bestimmte therapieresistente Epilepsieformen wie das Dravet- und das Lennox–Gastaut-Syndrom liegt für Cannabidiol (CBD) eine solide Evidenz aus randomisierten, kontrollierten Studien vor. Hier zeigt sich eine signifikante Reduktion der Anfallshäufigkeit, und mit Epidyolex® steht ein zugelassenes Fertigarzneimittel zur Verfügung (Devinsky et al. 2017, N Engl J Med; Thiele et al. 2018, Lancet).
Für THC und andere Cannabinoide gibt es bislang keine belastbare klinische Evidenz bei Epilepsie. Daten aus Tiermodellen und Fallberichten sind nicht ausreichend für eine allgemeine Empfehlung (Perucca 2017, Epilepsia).
Auch beim Einsatz von CBD außerhalb der zugelassenen Indikationen bestehen offene Forschungsfragen zu Dosierung, Kombinationstherapien und Langzeitsicherheit. Eine ärztliche Begleitung, sorgfältige Dokumentation und Kontrolle von Nebenwirkungen und Interaktionen bleiben daher unerlässlich.